Rettet das Einhorn empfiehlt, befiehlt eine Ausstellung in der Werkladengalerie in der Bahnhofstrasse am S-Bahnhof Friedenau. Veranstalter ist die „Initiative zur Rettung Mythischer Tiere“.
Uli Pfaff hat die Ausstellung für uns gesehen: Wie die Legende sagt, kann das Einhorn nur im Schoß einer Jungfrau Schlaf finden. Es gilt daher als Symbol der Keuschheit. Worüber die Legende schweigt, ist die Frage: Was passiert, wenn das Einhorn erwacht? Ist es dann noch ein Einhorn und die Jungfrau noch Jungfrau? Wer in der Ausstellung darauf eine Antwort sucht, findet fantastische Beispiele, Zeugnisse und Dokumente, die alle von der Existenz dieses Fabelwesens künden, die jedoch nichts beantworten, sondern nur weitere Fragen aufwerfen. Unter anderem jene nach seiner Existenz, seiner Größe, Farbe und seinem vermuteten Lebensraum. Gesichtet wurde das Einhorn in den Schlagzeilen fragwürdiger Gazetten, auf dem Terrain fremdländischer Briefmarken, auf Postkarten und Labels, im Dom zu Xanten, im Dom zu Erfurt, im Musée Cluny, in Heiligenbüchern und in grimmigen Märchen.
Wie einer der Ausstellungsmacher glaubwürdig zu berichten weiß, ist das Einhorn überall und nirgends zu Hause: „Ich habe gedacht, das Einhorn wäre tot. Ich habe es bis jetzt in zwei Apotheken gefunden – in Potsdam soll es noch eine weitere Apotheke geben. Dann habe ich in der Genthiner Strasse ein wunderschönes altes Gitter gefunden, auf dem zwei Einhörner abgebildet sind. Das Einhorn ist doch lebendiger als ich gedacht habe.“ Und wie es lebt! Nicht nur in den rund 70 großen und kleinen Werken der 24 großen und kleinen Künstler, denn es sind auch Kinderarbeiten dabei. Ein Einhorn, so beweist uns die Ausstellung, kann vieles sein und in vielem liegen. Bescheiden wie ein Cornichon in einer Essiglake, mit etwas Fantasie. Eine gedrehte Wachskerze hier, eine Werkzeugschraube da, und voilà haben wir das Symbol seiner Stärke, das Horn. Ja, das Horn an sich ist der Ausdruck für staatliche Gewalt, aber auch für Potenz.
Mal ist es rein, weiß und domestiziert, dann wieder stark, wild und voll ungestümer Leidenschaft. Und so galoppiert das Einhorn munter zwischen Keuschheits- und Potenzbegriffen hin und her, dem Menschen und der Zeit davon.
„Das Einhorn geistert übrigens auch nicht nur in der europäischen Mythologie herum, sondern spielt auch in Asien eine Rolle. Wir haben eine Abbildung eines Einhorns, das aus China stammt – vor unserer Zeitrechnung ist das hergestellt worden – eine Schnitzerei. In Asien spielt das Horn heute noch eine wichtige Rolle. Ich möchte bloß darauf verweisen, dass man in Afrika kürzlich den Nashörnern die Hörner abgeschnitten hat, um sie vor der Ausrottung zu bewahren, denn es gibt einen blühenden Handel mit diesen Hörnern, denen man in Asien eine potenzsteigernde oder auch nur eine überhaupt heilende Wirkung zuschreibt. Auch in Europa hatte man dem Einhorn die gleichen Heilkräfte zugeschrieben. Das Pulver spielte in der Medizin eine wichtige Rolle. Manche Fürsten haben, um ihre Potenz zu steigern, versucht, Einhornpulver zu bekommen, und manch ein Quacksalber wurde hingerichtet, weil er ihnen etwas Falsches untergeschoben hat.“
Hat man es gestern noch auf einer Markenkrawatte gesehen, wiehert es heute vom Wappen der englischen Königsfamilie, um morgen scheinheilig auf einer Müllkippe zu grasen wie auf dem Zufallsschnappschuss von Dietrich Riemann, einem Einhornologen, Künstler und Gelegenheitsfotografen: „Also ein Einhorn zu fotografieren, ist verdammt schwer. Vielleicht durch den Geruch von Müll angelockt – jedenfalls habe ich ein richtiges 3D Foto gemacht, in dem ich die Kamera auf einer Schiene sehr schnell verschoben habe – da sieht man also das Einhorn, wie es hier in unserem Kulturmüll nach Nahrung sucht.“
Trotz allen Humors steht es ernst um das Einhorn, prognostizieren die Ausstellungsmacher und haben deshalb eine Unterschriftenaktion gestartet. In der Unterschriftenliste geht es um die Forderung, dass das Einhorn einen Lebensraum bekommt. „So fordern wir, dass es auf den stillgelegten, brachliegenden Äckern in Brandenburg eine Heimstatt bekommt. Diese Unterschriften sollen dann an das Europaparlament geschickt werden.“