Spekulativer Konstruktivismus:
Der Bildhauer Dietrich Riemann
Dietrich Riemann studierte in Berlin an der HdK und der TU Bildhauerei und Architektur und debütierte in der Galerie Gerd Rosen; Zusammenarbeit als Bühnenbildner u.a. mit Ingeborg Bachmann; er war als Architekt und künstlerischer Berater für die Ausstellung „Mythos Berlin“ tätig. Gruppen- und Einzelausstellungen in Berlin.
Deine Bildhauerei vermittelt den Eindruck einer schlüssigen, kontinuierlichen Entwicklung seit Deiner Studienzeit bei Hans Uhlmann. Inwiefern hast Du an Deinen Lehrer angeknüpft bzw. von Anfang an eine eigene formale und inhaltliche Strategie verfolgt?
Zuerst war bei mir die Suche nach Klarheit der Form. Inwieweit ich dabei an meinen Lehrer angeknüpft habe? Naja, ich hab ihn sehr geachtet. Hans Uhlmann hat aber meist mit ebenen Flächen gearbeitet. Mein Thema ist dagegen die Spirale, eben eine weichere, rundere Bewegung im Raum durch gebogene Flächen. Etwas, das ein Zentrum hat, das nach außen und innen wirkt.
Der Bildhauer Riemann hat sich schon bald als Architekt, Designer, Bühnenbildner und nicht zuletzt als leidenschaftlicher Experimentator – auch des Puppenspiels – engagiert. Läßt sich diese Vielseitigkeit aus Deiner Auseinandersetzung mit dem Konstruktivismus erklären?
Nicht an ein bestimmtes berufliches Genre gebunden zu sein, betrachte ich als mein Privileg. Ich muß nicht als Bildhauer oder Architekt agieren. Mein Bezugspunkt sind eher bestimmte Gedanken, die ich mit meinen jeweiligen Aktivitäten ausdrücke. Dabei ermöglicht es mir der Konstruktivismus, einen Bezug zur Realität herzustellen. Schon vor meinem Studium an der Kunsthochschule war ich von der Transparenz und Klarheit der Räume bei Pevsner und Gabo fasziniert. Ich denke, ich bin zunächst einmal Konstruktivist, schon weil die Art, wie ich an die Dinge heran gehe, stärker einem analytischen Denken folgt. Man kann einen Raum meiner Ansicht nach nicht nur aus dem Gefühl, ohne das konstruktive Denken, erschaffen oder verstehen. Andererseits denke ich, daß mein Verhältnis zum Material meine komplizierte, gebrochene Beziehung zum Konstruktivismus ausdrückt. Das Material besitzt zwar eine durch die Erfahrung von Jahrhunderten erprobte Rhetorik, aber das heißt ja nicht, daß dadurch schon alle Formen festgelegt sind. Da gibt es für mich doch das Moment des subjektiven Formwillens, der Gestaltungsfreiheit. Im übrigen greife ich auch auf Strömungen wie die Pop Art, die Alltagsgegenstände zu Kunstobjekten macht, oder den sogenannten Dekonstruktivismus zurück. Da ist zum Beispiel diese „schwebende“ Treppe in einer Friedenauer Wohnung. Hier verbinden sich szenische Elemente des Futurismus mit dem Dekonstruktivismus.
Dekonstruktivismus hat sich aber doch als ein dem Konstruktivismus scheinbar feindliches Konzept etabliert. Zerfällt Deine Arbeit somit nicht in zwei Tendenzen? Sind Deine ironischen Arbeiten seit den 90er Jahren, wie „Einhorn“ oder „Kuckucksei“ nicht eine Absage an die eher klassisch anmutende Form Deiner Skulpturen?
Der Konstruktivismus hat für mich weiterhin den Charme von Leichtigkeit oder auch Optimismus. Andererseits denke ich, daß die Kritik am Konstruktivismus auch eine Art Befreiung darstellen kann. Als ironische Form lag mir die Haltung des Dekonstruktivismus immer schon nahe. Der Konstruktivismus erscheint mir manchmal herrisch und gewollt. Für die Ausstellung „Kuckucksei“ habe ich beispielsweise Brancusi persifliert, seinen Vogel, als massive Bronzeskulptur gefertigt – wunderschön… Ich benutze diese Plastik aber tatsächlich als Zitat, um eine paradoxe Aussage zu machen: dem „falschen“ Ei im „falschen“ Nest entschlüpft ein Vogel – und innen ist er hohl! Das heißt, das bekannte Formvokabular des Konstruktivismus dient hier lediglich als Folie.
Seit Beginn dieser experimentellen Phase arbeitest Du mit Vorliebe in kurzfristigen Zusammenschlüssen mit anderen Künstlern, aber auch mit Laien. Ist dies eine Kompensation für das Verschwinden autonomer Künstleridentität?
Nun, ich muß nicht ein autonomes Künstlersubjekt sein; ich kann auch mit Anderen zusammen am gleichen Thema arbeiten. Hier ist das Entscheidende die Bereicherung für mich selbst, die ich erfahre, wenn ich mich mit Laien oder Künstlern, Architekten, Malern, Musikern oder Philosophen austausche, und die mich ein Stück weiterbringt.
Kunst in der Demokratie existiert als individuelle Praxis, in Institutionen und – zunehmend – in bezug auf den Markt. Kann sie darüber hinaus mit einem Wort von Paul Klee noch etwas „sichtbar“ machen?
Ich sehe mich eher im Gegensatz zur institutionalisierten Kunst, die als Herrschaftskunst Distanz aufbaut und das kritische Denken blockiert. Ich denke, Kunst findet immer einen Weg. Sie ist ja insgesamt freier geworden, trotz aller marktspezifischen Verzerrungen. Man kann heute etwas „Hingekritzeltes“ zeigen, vorausgesetzt daß man damit jemanden anspricht. Es gibt inzwischen viele Mischformen zwischen Malerei, Musik, Skulptur, Architektur, Tanz usw.. Wichtig bleibt für mich bei alledem, daß Kunst nicht auf die Funktion der Kritik reduziert werden sollte, einfach auch etwas Heiteres sein darf; etwas, das man wie ein Mantra oder einen guten Gedanken mit nach Hause nehmen kann. Schließlich hat ja auch jeder gute Gedanke etwas Beglückendes, nicht?
Zur Ausstellung ´Zeit in der Plastik´ in The Room Berlin
Aus der Stadtteilzeitung März 2004
Fragen: Amadeus Kramer, Interview: Andrea Mester